Lebenserinnerungen: Eine Kindheit der Gewalt

Gewalt gegen Kinder

Lebenserinnerungen: Eine Kindheit der Gewalt

Bald wird der kleine Bengel, der ich einmal war, 50. Ich wollte meine Lebenserinnerungen schon länger gestrafft zusammenfassen. Meinen 50. nehme ich jetzt endgültig zum Anlass.

Meine Erinnerungen werde ich sehr trocken und distanziert wiedergeben. Was mich als Kind geprägt hat, wirkt in der Erinnerung wie eine Geschichte eines anderen Menschens auf mich.
Vorrangig geprägt und zu dem gemacht, was ich jetzt bin, hat mich alles auf jeden Fall.

Der zweite Teil meiner Lebenserinnerungen ist hier.

Beginnen möchte ich mit meiner Kindheit.

Geboren wurde ich im Februar 1973 als Sohn eines Tiefbauunternehmes und einer Sparkassenangestellten, die bereits wegen der Geburt meines älteren Bruders, nicht mehr arbeitete. Mein Bruder ist zwei Jahre älter als ich.

Das Freeman-Sheldon-Syndrom

Genetisch habe ich von meinem Vater das Freeman-Sheldon-Syndrom mit auf den Weg gegeben bekommen. Daher wurde ich bereits als kleines Kind mehrfach operiert, um die Deformation meiner Hände abzumildern. Das waren meiner erste Krankenhausaufenthalte.

(…) Das Freeman-Sheldon-Syndrom ist ein extrem seltenes, meistens autosomal-dominant vererbtes Syndrom, das aber auch jederzeit als Spontan-Mutation erstmals in einer Familie auftreten kann. (…)Wikipedia: Freeman-Sheldon-Syndrom

Aus Erzählungen weiß ich, dass mich eines meiner Elternteile im Rückwärtsgang mit dem Auto erwischt hat. Das brachte mich für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Das Krankenhaus in Köln war zu der Zeit nicht besonders „pädagogisch wertvoll“ im Umgang mit Kindern als stationierte Patienten. Es gab diverse Besuchsrestriktionen, dass ich viel Zeit alleine im Krankenhaus als Kleinkind verbringen musste.
(Das mit den Restriktionen wurde mir familiär erzählt: Ich weiß also nicht um die Korrektheit dieser Aussage.)

Zumindest ist es für kleine Kinder nicht besonders zuträglich, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – dauerhafte Zeit alleine im Krankenhaus verbringen müssen. Allerdings war ich so klein, dass ich mich persönlich nicht an diese Zeit erinnern kann.

Als Kleinkind beschnitten

Mein Eltern hielten es zudem für nötig, mich als Kleinkind beschneiden zu lassen. Ich wurde weit vor der empfohlenen Zeit beschnitten. Eine Vorabbehandlung meiner angeblichen Phimose mit Salben oder ähnlichem fand nicht statt.

(…) Primäre Phimose

Sie liegt vor, wenn Jungen im Alter von drei bis sechs Jahren noch eine zu enge Vorhaut haben oder weitere Beschwerden dazukommen. Betroffen ist etwa ein Prozent aller Jungen. Meist reicht eine Behandlung mit kortisonhaltigen Salben aus. Eine Operation ist selten notwendig. (…)Beschneidung: Kleiner Eingriff, große Wirkung

Man hört zumeist kritisch von der weiblichen Beschneidung. Im Gegensatz zur Beschneidung von Jungs ist die Beschneidung von Mädchen verboten. Da sich in meiner „ewiggestrigen Sicht“ auf Menschen, Frauen/Mädchen und Männer/Jungs biologisch stark unterscheiden, kann man beide Beschneidungen auch nur im Ansatz miteinander vergleichen. Mittlerweile werden die Stimmen unüberhörbar, die die Beschneidung von Jungs ebenfalls sehr kritisieren. Die Beschneidung von Mädchen ist in unserem „Patriarchat“ schon lange unter Strafe.

Viele der Krikikpunkte der Beschneidung von Jungs haben mich zugetroffen. Dies betrifft vor allem die Empfindsamkeit meines Penis. Sexuell schränkte mich die herabgesetzte Empfindsamkeit sehr ein. Die Vorteile („Man(n) kann viel länger!“) wurden von einer sehr herabgesetzten Orgasmusfähigkeit überlagert. Jeder Sexualakt mit einer Frau wurde Zeit meines Lebens von einer extremen Konzentration auf den Akt und das Empfinden der Frau bestimmt. Mein eigenes Empfinden war immer zweitrangig.

Okay, jetzt bin von der Kindheit ins Erwachsenenalter gerutscht. Erfahrungen der Kindheit ziehen sich oft durch das gesamte Leben. Im Nachhinein verurteile ich aber z. B. meine Beschneidung als wahrscheinlich überflüssig und schädlich für mich und mein Leben.

(Eine letztlich gescheiterte) Umerziehung vom Linkshänder zum Rechtshänder

Als ich älter wurde, stellte sich heraus, dass ich grundsätzlich ein Linkshänder war. Mein Vater hielt es für nötig, mich umzuerziehen. Ich sollte also vom Linkshänder zum Rechtshänder gemacht werden.

Der Lieblingsspruch meines Vaters dazu: „Jedes technische Gerät ist für Rechtshänder gemacht! Damit Du keine Schwierigkeiten damit hast, werden wir Dir die linke Hand abgewöhnen!“ 

Letztlich ist es nie gelungen, mich vollständig umzuerziehen. Ich schreibe nach wie vor mit links, während ich andere Dinge mit rechts mache.

Links:

  • Schreiben
  • Butterbrote schmieren
  • (…)
Rechts:

  • Schneiden mit der Schere
  • Schlagzeug spielen
  • Essen mit Besteck
  • (…)

Insgesamt führte die Umerziehung zu Verwirrungen. Ich konnte beispielsweise in der Zeit der größten Zwangsmaßnahmen mit beiden Händen gleichzeitig schreiben: Allerdings mit einer Hand richtig herum, mit der anderen Hand spiegelverkehrt.

(…) Die Folgen sind frappierend: Die geistigen Fähigkeiten, darunter so wichtige Bereiche wie Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Belastbarkeit, Reaktionsfähigkeit, werden negativ beeinflusst, obwohl die ursprüngliche Intelligenz erhalten bleibt. (…)Psychische Probleme durch Umschulung
(…) Es ist bekannt, dass die Umerziehung gravierende Folgen mit sich führen kann. Die ersten ernsthaften Störungen entstehen im Gehirn: Es besteht eine enger Zusammenhang zwischen der Aktivität der Hemisphären und der Lateralität der Hände. Die linke Gehirnhälfte kontrolliert die rechte Körperseite, die rechte Hemisphäre ist entsprechend für die linke Körperseite verantwortlich. Wird ein Linkshänder, dessen rechte Hemisphäre dominiert, umerzogen, so handelt es sich dabei um massive Eingriffe. Seine dominante Gehirn-Seite wird gehemmt, seine linke Hemisphäre dagegen überlastet, da die rechte Hand nun vermehrt zum Einsatz kommt. Es können Störungen im Bereich des Corpus callosum entstehen bis hin zu Problemen beim Informationsaustausch zwischen beiden Gehirnhälften.Das linkshändige Kind – mögliche Folgen der Umerziehung

Zu dieser Zeit musste ich meine Hausaufgaben bei geöffneter Türe erledigen, während mein Vater immer wieder überwachte, ob ich auch „artig“ mit rechts schreibe. Nicht nur der Zwang zur anderen Hand war Psychoterror für mich. Auch die ständige Überwachung der Nutzung meiner Hände war reiner Terror für mich. Die offene Türe war in meinem Rücken, so dass Angriffe auf mich von hinten erfolgten.

Gewalt kam (auch) von hinten

Ebenfalls von hinten erfolgten während meiner Kindheit bis ins Jugendlichenalter häufige Schläge auf meinen Hinterkopf durch meinen Vater. Es prägte sich also extreme Acht- und Schrecksamkeit vor Bewegungen hinter mir aus. Diese Schrecksamkeit habe ich zum Glück im Erwachsenenalter verloren.

Die Schläge seitens meines Vaters waren eher häufig und täglich. Hinzu gesellte sich die Gewalt durch meinen mir körperlich sehr überlegenen Bruders. Teil meines Freeman-Sheldom-Syndroms ist u. a., dass ich recht klein geblieben bin. (Als Erwachsener messe ich 156cm und war bereits als Kind immer kleiner als gewöhnliche Menschen.)

Die Gewalttätigkeit meines Bruders mir gegenüber war ebenfalls häufig und täglich. Körperliche Gewalterfahrungen habe ich als Kind durch männliche Seite erfahren. Die Gewalt durch meine Mutter war eher eine passive. Die Gewalt mir gegenüber war geduldet und durch Passivität in manchen Situationen praktisch „administriert“. Die einzige Gewalt durch meine Mutter ist mir als Haarbürste in Erinnerung, die auf mir zerschlagen wurde. Durch meine häufigen Gewalterfahrungen habe ich dies als eher lustig empfunden, weil es nicht besonders weh tat und sich meine Mutter über die zerschlagene Haarbürste geärgert hat.

Pseudo-Karate und ein Fingerstich

Mein Bruder stand neben dem „Spaß“ seinen kleinen Bruder – mich – regelmäßig zu verprügeln später daraus, Karatefilme zu gucken und gesehenes an mir auszuprobieren. So hat er mir mit mehreren Fingern ins Auge gestochen, um dann wenn ich mich schreiend auf dem Boden gewunden habe, „Oh! Der Fingerstick funktioniert ja!“, zu sagen.

Er hat sich alles aus Karatefilmen aubgeschaut. Es gibt Menschen die das auch als Kampftechnik vermitteln. Er hat es zum Glück nicht professionell an mir ausprobiert.

Tägliche Gewalt

Es kam zur täglichen Gewalt, die meistens damit endete, dass ich heulend zurückblieb. Da ich mich körperlich nicht aufgrund meiner Statur gegen meinen Bruder wehren konnte, entwickelte ich rhetorische Fähigkeiten, dass ich mich wenigstens so wehren konnte. Meine rhetorischen Versuche, mich zur Wehr zu setzen, endeten immer in Gewaltausbrüchen meines Bruders. Diese endeten wieder schmerzhaften Erfahrungen, die mich wiederum heulend zurückließen. Auf Schlichtung durch meine Eltern konnte ich nicht hoffen, ich wurde eher noch für „meine zur Gewalt provozierende Klappe“ von meinem Vater bestraft. Oftmals ebenfalls mit Gewalt.

Demütigungen vor Freunden

Mein Vater entwickelte zur körperlichen Gewalt noch die Vorliebe, mich vor Klassenkameraden mit Dingen, die man niemandem außerhalb der Familie erzählt, zu blamieren. Wenn ein Freund von mir Gast beim Essen war, musste mein Vater mir immer wieder für mich peinliche Dinge an den Kopf werfen, bis ich heulend vom Esszimmertisch weg lief.

Solche Dinge geschahen häufig. Nach einer solchen Aktion bin ich völlig verzweifelt in einer Kurzschlussreaktion vor meinem Freund in den Gartenteich unseres Hauses gesprungen. Natürlich war es völlig blödsinnig in den Teich zu springen. Erklären kann ich mir dies mittlerweile damit, dass ich mich von der Demütigung der Blamage durch meinen Vater irgendwie ablenken wollte.

Seltene glückliche Momente

An viele glückliche Momente aus meiner Kindheit kann ich mich nicht erinnern. Es gab Momente, wenn meine Großtante Emmi aus Dortmun zu besuch bei uns war. Dann gab es endlich Essen, dass ich mochte. Außerdem brachte sie uns immer tolle Geschenke mit. Einmal brachte sie einen Stoffaffen mit. Eigentlich war er für meinen Bruder gedacht, als ich aber wie wahnsinnig auf den Affen reagiert habe, hat sie sich umentschieden und mir den Affen geschenkt. Wenn meine Tante da war, war alles auf einmal gedreht. Nicht mein Bruder war der Mittelpunkt der Sorge, sondern ausnahmsweise mal ich. Sie war viel zu selten da.

Essen wurde zum Thema

Das mit dem Essen, das sie dann für uns kochte, erwähne ich, weil mit in meiner Kindheit immer eingeredet wurde, dass ich selbst für meine geringe Körpergröße dafür könnte, weil ich zu wenig essen würde. Ich habe zu Hause wenig gegessen, weil es grundsätzlich Dinge gab, die ich nicht moche. Außerdem habe ich meine Mutter trotz ihrer Volkshochschul-Kochkurse immer für eine schlechte Köchin gehalten. Außerdem: Welches Kind isst freiweillig schon so wenig, dass es deshalb zu körerlichen Mangelerscheinungen oder Minderwachstum kommt?

Erfahrungen und ihre Konsequenzen

Sämtliche Erfahrungen meiner Kindheit haben natürlich ihre Spuren hinterlassen, dich noch lange Zeit später ausbaden musste und noch ausbade. Die Erfahrungen haben „Programme“ in meinem Unterbewusstsein hinterlassen, die psychischen Stressituationen drohen, aufgerufen zu werden. Dazu gehört eine Gewaltbereitschaft, die in bestimmten Momenten ausgelöst werden kann.

Diese auslösbare Gewaltbereitschaft ist gerade für einen Alleinerziehenden einge große Gefahr, wenn er in stressige Konfliktsituationen mit seinem Kind gerät. Dem war ich mir aus verschiedenen Erfahrungen bewusst und wollte diese Situationen bewusst entschärfen. Daher habe ich mir recht früh als ich alleinerziehend wurde, hilfe beim Jugendamt bzw. der Familienhilfe des Jugendamtes gesucht. Dort habe ich unterschiedliche Programme zur Konfliktvermeidung und Anti-Aggressionstrainings absolviert.

Zumeist hat mir das durch die meisten Situationen mit meinem Sohn geholfen. In den meisten. Hin und wieder gab es Ausfälle, die ich aber als nicht gravierend bezeichnen möchte. Was ich auch strikt vermieden habe: Demütigungen meines Sohnes – ihn vor anderen Leuten zu blamieren oder ihn übermäßig zurechtzuweisen – kamen für mich nie infrage.

Hauptsächliche Erinnerungen der Kindheit

Dies sind zunächst die hauptsächlichen Dinge, die aus meiner Kindheit in meiner Erinnerung geblieben sind. Positiv war eigentlich nur meine Großtante Emmi aus Dortmund für mich.

Meine Kindheit war durch männliche körperliche Gewalt geprägt. Weibliche Gewalt stellte sich in einer passiven, duldenden Form dar. Aktive körperliche weibliche Gewalt sollte genauso folgen wie die judikative Gewalt mir als Vater gegenüber.


In eigener Sache:

Ich suche einen Job in der Gegend von Frankfurt am Main

Nähere Informationen über mich: Wolf Jacobs – einfach – anders – artig


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